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Jazenjuk-Rücktritt Neustart in der Ukraine - der Überblick

Der ukrainische Regierungschef Arsenij Jazenjuk will sein Amt niederlegen - doch was steckt hinter dem Rücktritt und wie geht es weiter? Alles Wichtige zum Machtwechsel in dem Krisenland.
Ukraines Ex-Premier Arsenij Jazenjuk

Ukraines Ex-Premier Arsenij Jazenjuk

Foto: Sergey Dolzhenko/ dpa

Der ukrainische Ministerpräsident Arsenij Jazenjuk hat seinen Rücktritt angekündigt. Damit wolle er den Weg für eine neue Regierung freimachen, sagte der 41-Jährige. Die Regierung steckt seit fast zwei Monaten in einer tiefen Krise. Wie kam dazu - und was bedeutet das für das Land, das seit dem Umsturz im Februar 2014 auch unter einer schweren Wirtschaftskrise leidet?

Warum der Rücktritt?

Korruptionsvorwürfe gegen Jazenjuks engste Umgebung und eine seit Jahren lahmende Konjunktur: Der Druck auf den bisherigen Staatschef wuchs seit Längerem. Die Umfragewerte für den Premier und seine Partei, die die Parlamentswahlen im Herbst 2014 gewonnen hatte, sind kaum noch messbar. Bereits seit Dezember drängte Präsident Petro Poroschenko den Premier zum Rücktritt. Im Februar scheiterte eine Abwahl in der Obersten Rada. Ein Misstrauensvotum, das im Parlament auch von der Vaterlandspartei der Ex-Regierungschefin Julija Tymoschenko unterstützt worden war, hatte er aber noch überstanden. Nun, bei seinem Rücktritt, kritisierte Jazenjuk Poroschenko scharf: "Der Wunsch nach Ablösung eines Einzelnen hat die Politiker blind gemacht und ihren Willen zu realen Veränderungen gelähmt."

Was bedeutet er für die Ukraine?

Poroschenko trägt nun zunächst allein die Verantwortung. Der Regierungswechsel könnte für ihn entweder ein Befreiungsschlag sein - oder die Ukraine noch tiefer in die Krise stürzen. Denn auch der Präsident gilt als angeschlagen: Ein Skandal um Offshore-Firmen und Panama Papers schwächt ihn, ebenso das Nein der Niederländer zum EU-Ukraine-Abkommen. Zudem droht ein Untersuchungsausschuss. Wenn darüber hinaus noch die Reformen ausbleiben sollten, befürchtet der Journalist Witali Portnikow, "den endgültigen Zusammenbruch des Vertrauens in die Institutionen". Für den Westen geht mit dem Rücktritt wiederum ein wichtiger Ansprechpartner verloren. Gerade die Vereinigten Staaten hatten lange auf ihn gesetzt. US-Vizepräsident Joe Biden teilte am Sonntag nach einem Telefonat mit Jazenjuk mit: Beide seien darin übereingekommen, die angestoßenen Reformen müssten "unumkehrbar sein und der fortlaufende Prozess ist wichtig, um eine prosperierende Zukunft für die Bevölkerung der Ukraine zu sichern".

Wer wird Nachfolger?

Mit Parlamentspräsident Wolodymyr Hrojsman steht ein Nachfolger aus Poroschenkos Heimatregion Winnyzja bereit. Schon in der kommenden Parlamentswoche wollen die beiden prowestlichen Fraktionen des Petro-Poroschenko-Blocks und der Volksfront von Jazenjuk eine neue Regierungskoalition bilden und den 38-Jährigen wählen. Sie verfügen über eine Mehrheit von bis zu 230 Abgeordneten. Für die Entlassung des alten Regierungschefs und die Wahl eines neuen sind 226 Stimmen nötig. Damit Hrojsman in dem angestrebten Amt Erfolg hat, benötigt er schnelle Reformerfolge und ein Ende der Wirtschaftskrise. Die Abgeordneten haben guten Grund, Hrojsman zu wählen: Wenn sie für das neue Programm stimmen, sichern sie sich ein weiteres Jahr gegen Neuwahlen.

Wie soll die neue Regierung aussehen?

Poroschenko will mit der Installation Hrojsmans eine ihm loyale Regierung etablieren. Laut Verfassung darf er nur zwei Ressorts besetzen, den Verteidigungs- und den Außenminister. Als Chef eines großen Konzerns, der es gewohnt ist, dass sich ihm alles unterordnet, ist ihm das womöglich zu wenig. Und so gibt es jenseits der Wahl Hrojsmans viele Unbekannte: Wird etwa die eingebürgerte US-Amerikanerin Natalja Jaresko Finanzministerin bleiben und die Zusammenarbeit mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF) sichern? Oder wird für den slowakischen Ex-Regierungsvize Ivan Miklos das Gesetz geändert - und er darf auch ohne Einbürgerung Finanzminister werden?

Wie startet die neue Regierung?

In Jazenjuks Amtszeit fielen die Annexion der Halbinsel Krim durch Russland sowie der darauf folgende Krieg gegen die von Moskau gestützten Separatisten im Donbass. Die Wirtschaftskrise wurde dadurch verschärft. Seit 2014 brach die Wirtschaftskraft um 17 Prozent ein. Der Wertverlust der Währung Griwna um zwei Drittel führte zu einer Inflationsrate von fast 80 Prozent, die Bevölkerung leidet außerdem unter steigenden Energiepreisen. Auch die erhoffte Annäherung an EU und Nato stockte wegen Streit in der Regierung - ebenso wie Verhandlungen über neue Kredite des Internationalen Währungsfonds in Höhe von 1,7 Milliarden Dollar. Selbst das seit Herbst vorigen Jahres verzeichnete schwache Wirtschaftswachstum wird durch schlechte Außenwirtschaftszahlen nivelliert. Seit Inkrafttreten des Freihandels mit der Europäischen Union brachen Exporte und Importe weiter ein. Der IWF mahnt einen weiteren Subventionsabbau bei Energiepreisen an. Doch der ist ausgesetzt, weil das politische Risiko zu hoch scheint.

Was bedeutet der Rücktritt für Jazenjuk?

Jazenjuk hat für den Journalisten Alexander Dubinski mit dem Abgang nach gut zwei Jahren an der Macht eher gewonnen als verloren. "Poroschenko muss jetzt den ganzen von Jazenjuk hinterlassenen Dreck mit einem großen Löffel auslöffeln", schrieb er auf Facebook. Das Präsidentenlager freue sich zu früh. Der Wirtschaftsexperte Jazenjuk war im Zuge der Revolution im Frühjahr 2014 ins Amt gelangt und hatte die mit einem Teil von Tymoschenkos Anhängern die Volksfront aufgebaut. Zuvor hatte er die Vaterlandspartei kurze Zeit selbst geführt. Wie es für den Professorensohn Jazenjuk, der aus Czernowitz in der Bukowina stammt, nach dem Rücktritt nun politisch weitergeht, ist zunächst offen.

Arsenij Jazenjuks Rücktritt im Video:

SPIEGEL ONLINE
apr/dpa/Reuters